Eine IT-Strategie muss ein „lebendes Wesen“ sein – Interview mit Volker Johanning

Nach einem Monat intensiver Planungsarbeit, langen Workshops und zahlreichen Abstimmungsrunden liegt sie vor Ihnen: die IT-Strategie. Doch wie das Vorhaben am besten im Unternehmen verankern? Was an die Fachbereiche, IT und die Geschäftsführung kommunizieren? Womit den Erfolg der IT-Strategie messen und sicherstellen?

Es kommt gar nicht so selten vor, dass eine ausführlich geplante IT-Strategie zur Schrankware mutiert, meint Volker Johanning. Wir sprachen mit dem Autor und Unternehmensberater zur erfolgreichen Umsetzung der IT-Strategie im operativen Unternehmensalltag.

Hallo Volker Johanning: Starten wir unser Interview mit einer Challenge. IT-Strategie in einem Satz – was verstehen Sie unter diesem Begriff?

In einem Satz: „Mit einer IT-Strategie wissen alle im Unternehmen, wozu es die IT gibt und welchen Mehrwert und Nutzen die IT für die internen und externen Kunden schafft!“

IT wird auf Ebene der IT-Infrastruktur und durch das rasante Wachstum der Cloud-Optionen immer mehr zu Commodity: IT ist wie Strom aus der Steckdose! Wie schon in meinem Buch „IT-Strategie“ beschrieben, hat Nicolas Carr bereits Anfang der 2000er gefragt: „Does IT matter?!“ Und diese Frage ist in Zeiten des digitalen Wandels mehr als relevant.

Im Rahmen einer IT-Strategie sollte die IT durch die Brille des Unternehmers und Inhabers gesehen werden: „Was bringt IT und wie kann sie das Unternehmen voran bringen?!

„Mit einer IT-Strategie wissen alle im Unternehmen, wozu es die IT gibt und welchen Mehrwert und Nutzen die IT für die internen und externen Kunden schafft!“

Volker Johanning

Angenommen, ich bin IT-Leiter eines mittelständischen Maschinenbauers: Wann genau benötige ich eine IT-Strategie?

Natürlich kann man als IT-Leiter eine IT-Abteilung ohne IT-Strategie leiten. Aber es fehlt der Kompass. Es gibt keine Transparenz, keinen konkreten Plan, der nachvollziehbar macht, wo man steht und wo es langgehen soll. Auch im Maschinenbau-Unternehmen ist die IT-Strategie ein hervorragender Kompass für die „IT-Navigation“.

Und mit dem Satz von Carr gesprochen, ist IT keineswegs nur Commodity oder Strom aus der Steckdose. Denn IT wird immer mehr zum Herz des Geschäftsmodells eines Unternehmens, gerade im Maschinenbau.

Nicht nur die Entwicklung von Produkten und die Herstellung sowie Vermarktung von Maschinen erfolgt mit hochkomplexen IT-Systemen. Auch die Maschinen selbst haben in ihrem Innersten IT. Maschinen sind heute ständig vernetzt und online. Sie generieren und liefern Daten, mit denen ad-hoc-Auswertungen erstellt werden können. Die  Maschine wird „intelligent“ und kann mit ihrer Umwelt kommunizieren. So sind Reparaturen einfacher und schneller diagnostizierbar und durchführbar. Die Maschine kann stetig verbessert werden, da die Daten immer neue Optimierungen ermöglichen. Und es können IT Service-Portale und Apps für Kunden entstehen, die so direkt und von überall aus mit ihrer Maschine kommunizieren können.

Der IT-Leiter eines Maschinenbauers kann seine Rolle mit einer IT-Strategie, die nicht nur die interne IT-Systemlandschaft optimiert, vom IT-Dienstleister zum Business Innovator aufrücken. Damit hilft eine IT-Strategie die IT zum Treiber des Geschäftsmodells zu avancieren, um dem Unternehmen einen echten Wettbewerbsvorteil und damit neue Marktchancen zu eröffnen.

Das Eine ist das IT-Strategiepapier, das Andere die Verankerung und Umsetzung in der Organisation. Welche Erfahrungen konnten Sie bei der praktischen Operationalisierung einer IT-Strategie machen?

Das Wichtigste ist, dass man  als IT-Leiter oder CIO das IT-Strategiepapier mit dem Team und nicht allein erarbeitet!

Das Zweitwichtigste ist, dass man stets die Geschäftsführung und das Top-Management bzw. den Inhaber mitnimmt auf die Reise zur Entwicklung der IT-Strategie.

Für die Umsetzung der IT-Strategie sind die Kommunikation und das Change Management entscheidend.

Meine Erfahrung ist, dass zum Beispiel mit Hilfe von IT-Roadshows eine IT-Strategie sehr gut im Unternehmen verankert werden kann. Im Rahmen einer IT-Roadshow stellt der CIO mit seinem Team die IT-Strategie allen Fachbereichen und Standorten des Unternehmens vors. Der wichtigste Part neben der Vorstellung ist die Diskussionsrunde. Jeder im Unternehmen soll die IT-Strategie hinterfragen. Es soll vor allem der Dialog gesucht werden mit den folgenden Fragen:

  • Was stört aktuell?
  • Was klappt schon ganz gut?
  • Was sind immer wieder Hindernisse oder Ärgernisse mit der IT?
  • Wie können wir noch besser werden?

Change Management ist in aller Munde. Die Umsetzung einer IT-Strategie ist auch immer ein Change, eine Veränderung. Das Wichtigste dabei: Machen Sie deutlich, dass ein Tiefpunkt (das sogenannte „Tal der Tränen“) dazugehört und die soeben erstellte Strategie nicht in Frage stellt. Dieser Tiefpunkt in der Akzeptanz der neuen IT-Strategie ist unvermeidbar. Es wird immer jemanden geben, der den Status quo behalten möchte und der das Neue erstmal kategorisch in Frage stellt. Die IT-Führungsmannschaft sollte diese Phase zum Lernen nutzen im Sinne von: „Was können wir noch besser machen?“. Nach dem Tiefpunkt sind aber sukzessive alle mit an Bord und die Reise der Umsetzung kann so richtig beginnen.

„Für die Umsetzung der IT-Strategie sind die Kommunikation und das Change Management entscheidend.“

Volker Johanning

Mergers & Acquisitions, neue Technologien, geänderte Regularien – wie oft sollte ich meiner IT-Strategie ein Update verpassen?

Eine IT-Strategie muss ein „lebendes Wesen“ sein. Mit dem Strategiecockpit aus meinem Buch habe ich ein solches Hilfsmittel bzw. Tool entwickelt. Mit Hilfe einer Roadmap und klaren Zielen auf Basis von OKRs (Objectives und Key Results) wird die Umsetzung der IT-Strategie ständig überwacht.

Erfahrungsgemäß ist eine IT-Strategie in der schnelllebigen IT-Branche bereits nach 3 bis 5 Jahren reif für ein Update. Sprich: Der Lebenszyklus einer IT-Strategie und der IT ist analog zu anderen Branchen geschrumpft. Daher macht eine Revision und Aufarbeitung der IT-Strategie nach 3 bis 5 Jahren definitiv Sinn. Worauf sollte dabei geachtet werden?

  • Welche neuen Technologien haben eine Reifegrad erreicht, der für unser Unternehmen jetzt Sinn macht?
  • Welche neuen Hard- und Softwarestandards gibt es und welche Vor- und Nachteile haben diese für unser Unternehmen?

Peter F. Drucker soll einmal gesagt haben ‚Culture eats Strategy for Breakfast‘. Was ist der größte Fehler in einem IT-Strategieprojekt?

Der größte Fehler ist das Verschwinden des IT-Strategiepapieres in irgendeiner Schublade. Das passiert leider häufiger als man glauben mag. Die Frage vor jedem IT-Strategieprojekt muss sein: „Wozu entwickeln wir eine IT-Strategie? Was ist hinterher besser als jetzt?“

Und der Auftraggeber einer IT-Strategie sollte nicht der IT-Leiter oder CIO sein, sondern mindestens die Geschäftsführung oder der Vorstand. Idealerweise sogar der Inhaber bzw. der Gesellschafterkreis. Denn nur dann ist auch wirklich für echtes Committment gesorgt und die IT-Strategie verschwindet in keiner Schublade.

Über das Thema Change Management und Veränderung durch eine IT-Strategie habe ich schon gesprochen. Daher in diesem Kontext nur der Wink mit dem Zaunpfahl: Eine IT-Strategie allein ändert noch nicht die Kultur des Unternehmens.

Ich habe schon viele IT-Leiter und CIOs jammern hören: „Jetzt haben wir eine so gute IT-Strategie erarbeitet, aber die Fachbereiche haben es immer noch nicht kapiert. Wir werden weiterhin mit Kleinstanforderungen überschüttet und kommen einfach nicht vom Fleck!“.

Dieses „Kulturthema“ bekommt man nur durch Kommunikation, IT-Roadshows, harten Governance-Maßnahmen und Gremienarbeit in den Griff. So sollte die IT-Strategie einen Katalog von Standards enthalten (ich nenne es das „Book of Standards“). Wenn sich im Unternehmen jemand nicht daran hält, dann muss die Geschäftsführung diese Governance-Vorgabe hart einfordern und Schatten-IT darf nicht mehr geduldet werden.

Ein weiteres Beispiel ist die Einführung eines Demand Management Boards oder eines Portfolio Boards. Ziel dieser Gremien ist immer die Diskussion und Entscheidung über neue Anforderungen, Change Requests und Neueinführung von IT-Systemen. Mit diesen Gremien hat die IT-Führung die Chance, proaktiv anstatt reaktiv auf neue Themen zu reagieren. Damit kann endlich Planbarkeit in der IT Einzug erhalten anstatt des ständigen „Hinterherlaufens“. Wenn das erreicht wurde, ist die IT-Strategie schon zum großen Teil erfolgreich umgesetzt und ein Kulturwandel hat stattgefunden.

„Der Auftraggeber einer IT-Strategie sollte nicht der IT-Leiter oder CIO sein, sondern mindestens die Geschäftsführung oder der Vorstand.“

Volker Johanning

Letzte Frage: Angenommen, ich möchte das Themenfeld Strategisches IT Management als CIO vertiefen wollen: Welches Buch (neben dem Ihren) schlagen Sie vor?

Zum erweiterten Themenfeld des strategischen IT Managements zähle ich auch die Digitalisierungsstrategie. In diesem Kontext möchte ich gerne das Buch von Friedrich von Böselager empfehlen: Der Chief Digital Officer: Die Schlüsselposition für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie. Gerade CIOs müssen sich damit auseinandersetzen wie und welchen Anteil an Digitalisierung im Unternehmen durch die IT erfolgt und ob die Job-Rolle des CDOs zu der des CIOs gehört und wie die Aufteilung aussieht.

Das Interview mit Volker Johanning führte Christopher Schulz per E-Mail am 06. Januar 2022.

Zur Person Volker Johanning

Volker Johanning

Volker Johanning

Strategieberater und Autor Management-Experte für Strategieumsetzung & Turn-Around-Management

Volker Johanning ist Experte für das strategische Ausrichtung von mittelständischen Familienunternehmen und großen IT-Organisationen. Der Top-Managementberater und Autor hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Management von großen Konzernen wie BASF, KPMG, ZF Friedrichshafen, Continental und Volkswagen/Audi sowie im mittelständisch geprägten Umfeld bei Hidden Champions wie RATIONAL AG, Valora, Pöppelmann oder Grimme. Die strategisch kluge Ausrichtung der IT sowie neue digitale Geschäftsmodelle sind Themen mit denen er seinen Kunden hilft die digitale Transformation erfolgreich zu meistern.

Stan Bühne

Der Chief Digital Officer (Lesetipp von Volker Johanning)

Springer | 2018 | 94 Seiten | Print-ISBN: 978-3658179809

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